Szabis 30. Geburtstag

Lieber Szabanac,

heute wirst Du tatsächlich 30 Jahre alt.

Ich gebe zu: Ich hab nicht immer geglaubt, dass wir beide diesen Tag erleben. Ich wusste nicht immer, ob Du wirklich noch Wochen oder Jahre leben wirst… 2 Schlaganfälle haben Dir ganz schön zugesetzt, auch wenn man Dir mittlerweile gar nichts mehr anmerkt. Deine Arthrose hat Dir in diesem Winter dafür umso mehr zugesetzt. Aber hey, die hast Du schon, seit Du bei uns bist und dafür haben wir das doch mittlerweile ziemlich gut im Griff, oder?! Immerhin lebst Du jetzt schon 19 Jahre bei mir! Verrückt, wie die Zeit vergeht!

Weißt Du eigentlich noch etwas von Deinem Zustand, als Du zu uns kamst? Du hattest kein Fell vor der Brust, vom vielen Weben an einer halb geöffneten Tür. Seit damals verstehe ich nicht, warum nicht einfach alle Pferde im Offenstall leben dürfen. Aber Du darfst es seitdem. Das Fell konnte nachwachsen und Du musstest nicht mehr weben. Du hattest weiße Stellen vom Satteldruck und Du warst kopfscheu – sicher zu recht! Ich frage mich, was bringt Menschen dazu, den Sattel immer wieder zu benutzen, wenn er offensichtlich nicht passt?! Warum hat Dir das jemand angetan? Ich kann es Dir nicht sagen und es wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

Doch sein wir ehrlich: Ich war in den ersten Jahren nur wenig besser. Klar, für passende Sättel für Dich habe ich ein Vermögen ausgegeben (denn ein passender Sattel für Dich war wirklich schwer zu bekommen und wir mussten das immer wieder Deiner Muskelentwicklung anpassen). Ganz am Ende, als das Reiten kaum noch eine Rolle für uns spielte, bekamst Du dann einen baumlosen Sattel. Ich glaube, es ist der einzige Sattel, der jemals wirklich DEINER war. Denn dieser Sattel stand nicht mehr für Unterdrückung und Ausnutzung. Du durftest immer selbst entscheiden, ob Du den Sattel tragen möchtest, ob Du mich tragen möchtest und wie lange. Vielleicht mochtest Du den Sattel auch deswegen: Weil DU endlich über DICH und DEINEN Körper entscheiden durftest. Eigentlich ist schon der Satz furchtbar. Denn nur durch mich bekommst Du dieses Recht zugestanden. Aber sollten nicht eigentlich alle Pferde das Recht dazu haben? Oder noch allgemeiner: Ist es wirklich in Ordnung, Lebewesen Schmerzen zuzufügen zum eigenen Vergnügen? Ist es überhaupt in Ordnung, Lebewesen absichtlich Schmerz zuzufügen? Aber das führt wohl hier zu weit, da geht’s um Moral, Ethik und die Fähigkeit, sich selbst noch in Frieden im Spiegel betrachten zu können…

Apropos im Spiegel betrachten können… Ich konnte es lange Zeit nicht mehr. Ich hatte Dir gegenüber ein riesiges schlechtes Gewissen. Denn seien wir ehrlich: Ich habe Dich benutzt. Für mein Ego, für meinen Spaß, als Ventil für meine Wut und Ohnmacht, vor allem als Teenager. Ich bin Dir bis heute für Deine Geduld dankbar. Ich weiß, Du hättest Dich viel krasser wehren können. Stattdessen hast Du Dich eher verweigert, aber ohne mich jemals in Gefahr zu bringen. Egal ob Du gestiegen bist, nur noch rückwärts gelaufen oder auch einfach gar nicht mehr reagiert hast – Du hast immer darauf geachtet, dass mir da oben nichts passiert. DANKE! Und ein noch viel größeres und dickeres DANKE dafür, dass Du mich zum Umdenken bewegt hast.

Übrigens habe ich vorhin beobachtet, wie ein Reiter sein Pferd auf der Weide jagen musste, um es einzufangen. Ich bin heilfroh, dass das bei uns gefühlte Ewigkeiten her ist und ich Dich schon längst nicht mehr jagen musste, sondern dass Du auf Zuruf freiwillig kamst und Dich hast aufhalftern lassen. Das war für mich immer ein Zeichen dafür, dass sich unser Zusammensein wirklich verändert hatte!

Aber genug von früher.

Ich gebe zu, ich habe heute mehrfach geweint wegen Deines Geburtstages. Ich glaube, weil nun klar ist, dass die Zeit, die wir miteinander hatten, länger ist als die Zeit, die wir noch miteinander haben werden. Nach 19 Jahren und Deiner Begleitung durch Vorpubertät, die wilde Teenagerzeit, das junge, chaotische Erwachsenenleben bis zu meiner eigenen Mutterschaft und den ersten Jahren mit meinen Kindern, kann ich mir nicht vorstellen, wie mein Leben ohne Dich aussehen könnte. Deswegen hoffe ich, dass Du noch lange bei uns bleibst.

Aber egal auch, wieviel Zeit uns noch bleibt, werde ich nie vergessen, wie unser Zusammensein auch aussah (neben den furchtbaren ersten Jahren).

Niemals werde ich vergessen, als Du zum ersten Mal frei und freiwillig eine Passage gezeigt hast. Du warst so stark, so stolz, so frei –  der Wahnsinn!

Ich liebe es, wenn wir heute gemeinsam spielen und Du mich „jagst“. Du bist so mutig geworden!

Wenn Du mit Waterloo spielst und steigst, siehst Du auch heute noch sofort um Jahre jünger aus. Ich bin stolz auf Dich, wenn ich Dich dabei sehe! Und so unendlich glücklich, dass ich Dir neben viel Leid und Schmerz am Ende auch dieses Leben schenken durfte! Dass Du glücklich bist ist so viel mehr wert als jeder Ausritt dieser Welt und erst recht als eine Schleife auf einem Turnier…

Du bist einfach ein tolles, kraftvolles Pferd und ich wünsche mir viele, viele weitere Jahre mit Dir! Happy Birthday!

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